Vom Imperativ zur Illusion

Transformierte Macht: Vom Befehl zur Inszenierung

Statue von Justitia, der römischen Göttin der Gerechtigkeit und des Rechtswesens. In der rechten Hand hält sie ein Schwert und symbolisiert Gewalt, Macht und Stärke. Ein Gesetz ohne Schwert scheint sinnlos. Urheber: Elena Romanov, Lizenz: iStockphoto.

Inwieweit hat Recht etwas mit Gerechtigkeit zu tun? Inwieweit spielt die Rechtsprechung eine Rolle in der Entwicklung des modernen Staates? Welche Legitimität hat das Recht und somit auch das Staatswesen überhaupt? Auf welche Grundlage bzw. Autorität stützt sich eigentlich der Staat bzw. das Recht?

In diesem Beitrag versuche ich anhand von den Philosophen und Theoretikern Jeremy Bentham (Imperativtheorie; Utilitarismus), Claude Lefort (Demokratietheorie) und u.a. Hans Kelsen (Rechtspositivismus) einen ideengeschichtlichen Aspekt des modernen Staates und der Rechtsphilosophie zu skizzieren.

Geltungsanspruch, Legitimität und Wandel:

Leviathan, Thomas Hobbes

Befehl und Gehorsam: Staatstheoretiker wie Thomas Hobbes (1588-1679) und John Austin (1790-1859) fundieren die Geltung des positiven Rechts auf die Faktizität seiner Rechtssetzung (Gschiegl 2013: 81), oder anders formuliert beruht der Geltungsanspruch des Rechts auf dem Befehl des souveränen Inhabers der Staatsgewalt. Diese Imperativtheorie, die von Jeremy Bentham (1748-1832), Austin und Hobbes verteidigt wurde, ist in der Vorstellung des absolutistischen Staates des 17. und 18. Jahrhunderts verhaftet, weil sie als „Sollenssatz“ die Gesetze mit Zwang durchsetzt (Horn 2011: 72f). So betrachtet sind Gesetze nichts anderes als Befehle der Obrigkeit (Souverän). Der Souverän selbst ist keiner höheren (metaphysischen) Macht unterworfen (Schröder 2012: 9; Hobbes, Leviathan: 168) und somit können selbst ungerechte Normen und Gesetze erschaffen werden. Die Geltung des Gesetzes hat insofern nicht viel mit Moral oder Gerechtigkeit zu tun. Entgegen dem Naturrecht wird hier die „Nützlichkeit“ hervorgehoben: Der größtmögliche Nutzen und das größtmögliche Glück für die größtmögliche Anzahl an Menschen wird hierbei als Maxime angeführt (Vorstufe zum Utilitarismus). De facto spielen jedoch nur die Entscheidungen des Souverän (Staatsgewalt) eine Rolle.

Auch heute noch werden solche imperative Denkweisen auf Kosten der Freiheit vehement verteidigt. Man denke nur an die Menschen- und bürgerrechtlichen Einschränkungen im Zuge des „Patriot Acts“ kurz nach den Anschlägen von 11. Sept (9/11). Von der Machterweiterung des Präsidentenposten unter Obama und nun unter Trump will ich erst gar nicht sprechen. Die Opferung der Freiheit wird im Namen der Sicherheit legitimiert und dies ist kein neues Phänomen. Die Tradition des liberalen Denkens stützt sich auf den symbolischen und abstrakten „Staatsvertrag“ von Hobbes (und u.a. Locke). Gepriesen wird hierbei der „Kulturzustand“, der stets mit männlichen Attribute (Tugend; Status; Stärke; Gewalt…) assoziiert wird und ausschließlich von Männer theoretisiert wurde. Demgegenüber wird die weiblich konnotierte „Natur“, also der „Naturzustand“ als negativ, trieb-geleitet, unmoralisch und blutig dargestellt und bekämpft („kultiviert“). Dies beschrieb ich genauer, im Beitrag über die Dekonstruktion des Staates, bzw. im Beitrag: „Staat als Herrschaftsinstrument„.

Fazit: Da der Mensch des Menschen Wolf ist (Hobbes negative Anthropologie), unterwerfen sich die Menschen „freiwillig“ (Gesellschaftsvertrag) einem Souverän. Diese Unterwerfung geschieht im Namen der Sicherheit. Hobbes Attribuierung des Raubtiercharakter der Natur des Menschen, enthält aber auch ein dialektisches Attribut der Göttlichkeit (Münkler 2001:85), das sich erst mit einer Staatsgewalt und der Zähmung der Natur entfalten kann. Seine theoretischen Grundannahmen (Prämissen) haben keinen empirischen Halt und ganz abgesehen von seinem Rassismus („wilde Völker [gemeint sind: Ureinwohner von Amerika] leben auf tierische Weise„, Hobbes: Leviathan: 97) und seinem Sexismus („weibischen Mut“: S. 169), scheitert sein Versuch das göttlich-metaphysische aus der Staatstheorie bzw. aus der Politik zu entfernen kläglich. Denn der Souverän (Leviathan) wird als starke Figur nicht nur verabsolutiert, sondern seine Entstehung und seine Macht resultiert aufgrund einer „unsichtbaren Handlung“. Der Souverän unterliegt, ähnlich wie Gott nicht dem Gesetz und seine Gebote sind universell geltend für jede(n) BürgerIn, ähnlich den zehn Geboten von Moses. Tatsache ist jedoch, dass hinter dieser abstrakt scheinenden Figur namens Souverän, schließlich Menschen agieren. Wenn Menschen jedoch so „böse, tierisch, ungezähmt und wild“ sind, wie es die elitär-liberale Vormundschaft oftmals darstellt, warum delegieren und konzentrieren wir unsere Macht an andere Menschen (die ja hinter dem Staatskonstrukt wiederum Menschen agieren)? Sind institutionalisierte Posten nicht mit Menschen beseelt? Wurde das Staatskonstrukt nicht von Menschen erschaffen? Diese Fragen in einer ähnlichen Form stellte sich auch der mehrfache Literaturpreisträger Ilija Trojanow in unserem Gespräch.

Der Wandel – Der Weg zum inszenierten Spektakel

Nächtliches Spektakel, Salzburger Nachrichten, 6.Mai.2017.

Der Leviathan, also der absolutistische Monarch war ein sichtbares und fassbares Objekt und somit auch angreifbar. Deswegen wurde es mittels blutigen Revolutionen enthauptet und es geschah ein Wandel. Die Herrschaft die sich aufgrund des Rechtswesens und des Staatswesens etablierte begann sich zu transformieren. Die Legitimation der Staatsgewalt und des Rechts war nicht mehr begründet in der Faktizität, also in der Macht des Souveräns, der über dem Gesetz und dem Volk stand. Der „neue Souverän“ begründete seine Legitimität dadurch, dass er frei von jeglicher Ideologie, selbst unter dem Gesetz steht und alle repräsentiert. Dies beschreibt der französische Philosoph Claude Lefort hervorragend: „Das Parlament als Theaterbühne, als symbolische Enthauptung des Königs (Totalitarismus; Monarchie) repräsentiert die Einheit des Volkes (durch Konsens). Das ist der Raum der Politik, jener Bereich der die ursprüngliche Teilung des Volkes, den Streit, den Klassenkampf verleugnet und als eine “Inszenierung” angesehen werden kann. Inszenierung deswegen, weil dieser “Raum in seiner jeweiligen Verfassung (sei sie aristokratisch, monarchisch oder despotisch, demokratisch oder totalitär) eine Quasi-Repräsentation seiner selbst enthält.” (Lefort 1990: 285). Diese “Quasi-Repräsentation wurde vom österreichischen Philosophen Christoph Hubatschke folgendermaßen beschrieben: “PolitikerInnen müssen sich Dauerfilmen lassen, wie sie jeden noch so schlecht besuchten Kirtag heimsuchen, Fahnen schwenken bei Länderspielen, Babys küssen, Bierzeltreden schwingen und dabei immer freundlich bleiben und gezwungen sind „Volksnähe“ zu simulieren.” – Der Wahlkampf als Showveranstaltung. Diese Theaterbühne, sieht Lefort als symbolische Notwendigkeit, für eine funktionierende Demokratie. Wie der jüdische US-Gelehrte Noam Chomsky zu sagen pflegt: Die stärkte Form der Unterdrückung ist diejenige, in der die Unterdrückten nicht wissen das sie unterdrückt werden! (Weitere Beiträge zur Postdemokratie bzw. vom Wahnsinn des Wahl-Spektakels finden Sie hier.) Während die Macht im Absolutismus sichtbar war, wurde sie scheinbar unsichtbar im Zeitalter der liberalen Demokratie.

Nicht nur die Staatsgewalt suggeriert Objektivität, vollständige Repräsentation und vor allem eine allgemeine Interessenvertretung, sondern auch das Recht. „Vor dem Gesetz sind wir doch alle gleich„, oder? „Das positive Recht von Hans Kelsen ist ein in sich geschlossene, widerspruchsfreies System von Rechtssätzen“ (Kelsen 1960: 201; Gschiegl 2013: 83) und suggeriert somit Objektivität und verschleiert dabei die Herrschaftsstrukturen die es konstruierte. Die Rechtswissenschaft, so das Postulat von Kelsen, wurde damit von jeglichem politischen Missbrauch und Propaganda bewahrt. Auch Kelsen entkommt der Metaphysik nicht, die er scheinbar entgegentreten will. Der Trick: Er versucht das Recht nicht vollständig zu dekonstruieren, „weil die Suche nach dem Geltungsgrund einer Norm nicht wie die Suche nach der Ursache und Wirkung ins Endlose gehen kann„. „Die höchste vorausgesetzte Norm wird hier als Grundnorm bezeichnet“ (Kelsen 1960: 196). Wer und warum diese „vorausgesetzte Norm“, also die Grundnorm schlussendlich ins Leben gerufen hat, wird nicht weiter hinterfragt. Die Grundnorm wird vielmehr von Kelsen vorausgesetzt und somit zur logischen Fiktion (Gschiegl 2013: 84). Die historisch betrachtete „Grundnorm“ steht und fällt jedoch aufgrund der (Staats-) Gewalt. Ähnlich wird die Geldschöpfung nicht weiter hinterfragt – siehe Helikoptergeld von Milton Friedman. Recht entsteht durch Recht und Geld kommt von einem Helikopter – einfach oder?

Ähnlich wie in der klassischen bzw. neoklassischen Wirtschaftslehre das metaphysisch erscheinende Postulat der „unsichtbaren Hand“ von Adam Smith propagiert wird, genau so postuliert die liberale Demokratie eine logische, symbolische und inszenierte Fiktion. Eine Ideologie-freie Ideologie; Eine nicht-unterdrückende Unterdrückung; Ein sich selbst regulierender Markt und Staat. Die Enthauptung des Königs, führte zur Ausblendung der Machtstruktur und stellte an dessen Stelle ein gesichtslosen, metaphysischen, unhinterfragten, unsichtbaren, symbolischen Schatten.

Wesen ohne Gesicht. Inszeniert erscheint es als „Geist“, also als eine symbolische Figur.

 

Veröffentlicht von Josef Muehlbauer am 6.5.2017 dank der kreativen Gespräche mit Dr. Stefan Gschiegl (Lehrbeauftragter Uni Wien) und Bernadette Goldberger (Institut für Politikwissenschaften).

Literaturangabe:

Stefan Gschiegl, Politik und Recht. Studienbuch, Facultas Verlag, Wien, 2013.
Norbert Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, C.F.Müller, 2011.
Peter Schröder, Hobbes. Grundwissen Philosophie, Reclam, Stuttgart, 2012.
Herfried Münkler, Thomas Hobbes, Campus Verlag, Frankfurt, 2001.
Lefort, Claude (1990): „Die Frage der Demokratie”. In: Rödel, Ulrich (Hg.): Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie. Frankfurt/M: Suhrkamp, S. 281 – 297.
Lefort, Claude / Gauchet, Marcel (1990): „Über die Demokratie: Das Politische und die Instituierung des Gesellschaftlichen“. In: Rödel, Ulrich (Hg.): Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie. Frankfurt/M: Suhrkamp, S. 89 – 122.
Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, Grimm, Wien, 1960.

 

Creative Commons License
This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International License.