Am Freitag um ca. 23 Uhr begann der gescheiterte Militär-Putsch, gegen die türkische Regierung unter Erdogan, statt. In der von der Zeitschrift „Zeit“ publizierten Türkei-Karte fanden Putschversuche statt, bei denen mindestens 265 Menschen starben. Einige Generäle und rund 6.000 Soldaten aus der Luftwaffe und der Panzertruppe nahmen daran Teil. Ein Hubschrauber feuerte auf das Parlamentsgebäude in Ankara, in dem sich Abgeordnete aufhielten und auch kam es zu zahlreichen Schusswechsel zwischen der Polizei und der Armee („Zeit“ vom 16. Juli 2016). Schlussendlich gewannen die Erdogan-Anhänger und die Regierung bleibt an der Macht.
Nun muss der Frage nachgegangen werden, wer hinter diesem Putschversuch steht? Stehen wirklich verschwörerische Netzwerke des CIA- und Israel-Nahen Imam Fethullah Gülen dahinter, wie es der Präsident Erdogan mehrmals betonte? Welche global-politischen Folgen trägt dies für den Nahen-Osten, der Russland-Türkei, sowie der US-Türkei Beziehung? Was sind die innenpolitischen Implikationen (u.a. Machterweiterung Erdogans) davon und war dieses Ereignis vorhersehbar oder gar von der USA unterstützt?
Werfen wir zunächst einmal einen Blick in die Geschichte: Das türkische Militär putschte schon einige Male in der Türkei. 1960, mit angeblicher Hilfe der CIA (Dr. Ganser) um die autoritäre Regierung unter Adnan Menderes zu stürzten (Kreiser). Im Jahr 1971 wurde das Kriegsrecht verhängt und die Regierung gewaltsam abgelöst. 1980 Putsche das Militär erneut, diesmal mit angeblicher Hilfe der NATO und der USA – welche im Rahmen der OECD vier Milliarden an Wirtschaftshilfe leisteten und sowohl vor als auch nach dem Putsch Militärhilfen (u.a. RDF – Rapid Deployment Forces) anboten (FAS; ATH von 1983; Zaman). Der fünfte Coup, oder auch „weicher Putsch“ genannt, fand 1997 statt. Wir sehen deutlich, dass die USA vorallem während des Kalten Krieges, sich in innenpolitische Angelegenheiten außerhalb des eigenen Landes deutlich einmischte. Eine US-Beteiligung am Putsch, vom 15/16 Juli 2016, ist nicht ausgeschlossen. Erdogans Regime bezichtigt Washington, den Putschversuch gefördert zu haben (Sydow). Einige US- Politologen und Journalisten haben Wochen und Monate zuvor von einer „Putsch-gefährdeten“ Atmosphäre geredet (Tol; Rubin). Dies deutet darauf dahin, dass sowohl die US- als auch die türkischen Geheimdienste etwas ahnen können.

Nun ist es wichtig einen Blick auf die türkische Kultur und Religion zu werfen, damit man die innere Zerrissenheit der Gesellschaft besser versteht. Angesichts der tiefen Gespaltenheit zwischen – „Kemalisten“ (treten ein für Laizismus; Volksouveränität, Nationalismus…) und „Neo-Osmanisten“ (treten ein für ein multiethnisches und auf dem Islam basierendes Staatskonzept); zwischen konservative Gläubige und kosmopolitische Anhänger der Moderne und westlichen Werte; zwischen der Armee und dem restlichen Staatsappart – kann man, sobald man den Größenwahn und die plötzliche Raserei (u.a. der Abschuss des russischen Kampfjets; Kalifat-Ansprüche; Erpressung der EU mittels Migratiosnwellen…) Erdogans in Betracht zieht, eine bipolare Störung diagnostizieren. Wir stellen darüber hinaus auch fest, dass die türkische Gesellschaft unter einer schizophrenen Persönlichkeitspaltung leidet – denn einerseits will man ein Teil der westlichen Welt sein (indem man die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie annahm; der EU beitreten wollte; und Mitglied der NATO ist) und auf der anderen Seite bemerkt man die immer stärker werdende Islamisierung und Ablehung der Moderne (z.B. die Ablehnung der modernen Wissenschaft: Evolutionstheorie), als auch die Untermauerung der Demokratie durch den autoritären Führungsstil Erdogans. Die sozial-politische Komponente der „türkischen Diaspora“, vorallem in Deutschland, welche bei Erdogans Auslandsbesuchen ganze Stadien vollfüllen könnten, ist ein machtpolitischer Faktor und Außenposten – sozusagen Erdogans Trumpfkarte. Populistisch ausgedrückt könnte man sagen, dass türkische Wahlkämpfe auch auf „deutschen“ Boden stattfinden. Dies zeigt seine Beliebtheit und seine Macht, denn die Bevölkerung stand sofort hinter ihm und hinderte die Armee ihn zu putschen.
Werfen wir nun einen kurzen Blick auf den polarisierenden Aufstieg Erdogans: hier fällt sofort der Name Fethuallah Gülen auf. Gülen ist einer der einflussreichsten Persönlichkeiten unserer Zeit.


Er lebt seit 1999 im Exil in Pennsylvania (USA) und wurde sowohl als „weindender Imam“ (charismatischer Prediger), als auch als sozial-politischer Philanthrop bekannt. Seine Stiftungen bauten rund 200-300 Nachhilfezentren allein in Deutschland, über 1.000 Schulen in über 140 Länder, Moscheen, Banken, Medienhäuser, Versicherungen und sogar Universitäten (Ugurlu 2013). Dieses mächtige „Gülen-Netzwerk“ ist in enger Verbindung mit „Tuskon“ (Turkish Confederation of Businessman and Industrialists), also mit einem Netzwerk aus dem türkischen „Big Business“ und dem Staatsappart (Richter, Polizisten, Anwälte und Politiker). 1999 kam ein Skandalvideo in die Öffentlichkeit, woraufhin Gülen zu 10 Jahren Haft verurteilt und seine Bewegung verboten wurde. Doch dank einflussreiche CIA-Agenten wie u.a. George Fidas, Morton Abromowitz und Graham Fuller, konnte seine Bewegung ihren Einfluss in Zentralasien und in der Türki weiter ausbauen – und genau dieser Kreis verhalf ihm auch in den US Schutz zu bekommen so der bulgarische Diplomat Boyan Chukov (A-Specto Juni 2016). Als Erdogan 2002 die Wahlen gewann, mehrte dies Gülens Macht und Einfluss in der Türkei. Gülen sicherte der AKP Wählerstimmen, während Erdogan die „Cemaat“ (transnationale religiöse und soziale Bewegung Gülens/ auch „Hizmet-Bewegung genannt) schützte. Nach Informationen von US-Diplomaten gehörten 2004 fast ein Fünftel der AKP-Abgeordneten der Gülen-Gemeinde (Popp, 2012). Gehen doch ein wenig in Vergangenheit zurück bemerken wir einen paradoxen Wandel in Erdogans politischer Laufbahn: Erdogans alte (Wohlfahrts)- Partei wurde 1998 vorgeworfen, mit dem Dschihad und der Scharia zu sympathisieren und wurde vom Verfassungsgericht verboten. Die Armee sah sich schon damals als Hüter des Laizismus und Erdogan wurde damals zu zehn Monaten Haftstrafe und einem lebenslangen Politikverbot verurteilt. Wie kam er dennoch an die Macht? Laut der ehm. FBI-Mitarbeiterin und eine der bekanntesten Whistleblower, Sibel Edmonds installierte die USA immer wieder Marionetten, welche von demokratische Präsidenten zu Despoten und Terroristen mutieren. Ihre These geht davon aus, dass Gülen von Kreisen der israelischen AIPAC Lobby, der CIA und der NATO unterstützt wird, ein (inoffizielles) Vermögen von ca. 20-25 Mrd. US-Dollar hat und darüber hinaus soll genau Gülen und sein Netzwerk Erdogan an die Macht gebracht haben. (Edmonds 2014). Und wieder ein politisch paradoxes Bild: Der alte Freund wurde zum neuen Staatsfeind: Erdogan wurde 2013 in Korruptionsskandalen verwickelt und beschuldigte Gülen, als verschwörerischer Drahtzieher. Erdogan scheint sich nicht nur angesichts seiner harten Worten gegen den ehm. israelischen Präsidenten Shimon Peres, vom Israel-freundlichen Gülen-Netzwerk „emanzipiert“ bzw. distanziert. Erdogan schickte vollbeladene Schiffe, um in Gaza den „muslimischen“ Brüdern zu helfen und machte sich viele Gegner in Israel und in der Gülen-Bewegung. Je größer seine Macht wurde, desto mehr wurde er selbstständig (gegenüber äußeren Mächten und inneren Kreisen, autoriär (gegenüber seiner Bevölkerung) und paranoid (aufgrund verschwörungstheoretischen Vorwürfen).

Nun zu den geostrategischen Faktoren: Erdogans Türkei machte sich Israel nicht nur wegen der oben erwähnten Ereignisse, zum außenpolitischen Feind, sondern vorallem weil er Terrororganisationen wie u.a. die Hamas unterstützte. Darüber hinaus, steht einer seiner Partei nahestehenden Berater (Cuneyd Zapsu) unter heftiger Kritik, weil er angeblich die al-Qaeda finanziell unterstützte. Der türkische Außenminister Ahmet Kavas, meinte sogar, dass al-Qaeda keine Terrororganisation sei. Darüber hinaus lassen einige Beweise auffinden, dass die türkische Regierung die al-Nusra Front unterstützt (Rubin 2013). Es gibt darüber hinaus Belege, dass Erdogans Türkei, auf dem Schwarzmarkt gehandeltes Erdöl (bzw. Rohöl) vom „Islamischen Staat/ IDIL/ ISIS“ kauft – siehe Beitrag Naher-Osten. Damit macht sich Erdogan zum Problemkind der NATO und schafft sich keine Freunde in der EU. Sein klar definierter Gegner ist das syrische Assad-Regime und zusammen mit den Abschuss des russischen Kampfjets, macht er sich auch bei Putins Russland nicht zum Freund. Religiös-bedingt sieht er sowohl im Iran, als auch in Saudi-Arabien einen Konkurrenten, weil jedes dieser soeben genannten Staaten, einen hegemonialen Wahrheitsanspruch hegt, bezüglich dem Thema: Auslegung des Islams und Vorbildfunktion der Muslime. Die Tatsache dass die USA den Kurden helfen wollen, einen eigenen Staat zu etablieren, bringt zusätzlich Spannung zwischen der westlichen Hegemonialmacht und der Türkei. Wir halten fest, dass viele Staaten, ein großer Teil seiner eigenen Bevölkerung und vorallem die Kurden, das autoritäre Regime Erdogans gerne Fallen sehen würden. Somit ist die Frage nach einem eventuellen Drahtzieher hinter dem Putsch schwierig zu beantworten.
Innenpolitsche Faktoren: Aufgrund der ständigen Verletzungen der Grund- und Menschenrechte (Presse- und Meinungs und Versammlungsfreiheit), nicht nur angesichts der „Gezi-Park“ Proteste, oder angesichts der Tatsache dass die Türkei bald zum „größten Gefängnis für Journalisten“ mutiert (allein 2012 wurden 61 verhaftet), erklärt Erdogan der eigenen Bevölkerung den Krieg, was ihn auf Dauer die Machtlegitimation kosten könnte. Seine Beliebtheit war vor dem Putsch auf einen Tiefpunkt angelangt, wie es Politologen analysieren und wie es folgende Grafik deutlich zeigt:
Das Wirtschaftsembargo von Russland und die Interventionen in Syrien und Irak, haben die türkische Wirtschaft deutlich geschwächt. Dies führt zusätzlich zu sozialen Spannungen und Unruhen. Angesichts der Tatsache, dass Erdogans Macht nach dem dilettantisch ausgeführten Putsch nun noch größer wird und er persönlich diese zwischenmenschliche Tragödie als „Geschenk Gottes“ ansieht, lässt viele Erdogan-Kritiker glauben, dass alles eine Inszenierung gewesen ist. Experten und Politologen, aber auch der Islamwissenschaftler Udo Steinbach, der türkische Journalist Ahmet Sik, der bulgarische Prof. und Ex-Militär Juli Abadjiev, sowie der deutsche Genaral Harat Kujat, halten den Putsch für mehr als nur merkwürdig – hier fallen zwei Gründe auf: a) er war schlecht geplant und noch schlechter ausgeführt und er Geschah „wie aus dem nichts“. Als Beweis reicht jedenfalls nicht, dass der gescheiterte Umsturzversuch vor allem einem nutzt: Recep Tayyip Erdogan (Yücel). Die Ursache-Wirkung Kausalität kann nicht nach dem Prinzip von „cui bono“ bewiesen werden. Seine Popularität, durch den „heldenhaften“ Sieg der demokratisch gewählten Regierung und ihre Anhänger im Kampf gegen die Putschisten, wird mit Sicherheit steigen.
Appell: Sobald Erdogan auf die Kurdenfrage weniger hasserfüllt und diplomatischer zugeht, sobald er seine derzeitige Machtposition nicht noch weiter ausbaut (Vollmachten des Präsidenten), sobald er mit der Opposition kooperiert und nicht weiter die Demokratie und den Rechtsstaat untergräbt, sobald er keinen Rachefeldzug gegen die Putschisten startet, könnte Erdogan zum großen Held der Türkei werden. Paradoxerweise halfen ihn die sozialen Medien, welche er sogar Verbot (u.a. Twitter), sich als persönlichen Schützer der Demokratie zu präsentieren. Dies ist angesichts seines autoritären Führungsstil mehr als scheinheilig. Die türkischen Bürger müssten vor etwaigen Machterweiterungen Erdogans gewarnt sein.
Literatur:
Karten Polke-Majewski, Tilman Steffen, Alexandra Endres und Kai Biermann – Was wir über den Putschversuch in der Türkei wissen sollten, Zeit vom 16. Juli 2016.
Klaus Kreiser, Christoph K. Neumann – Kleine Geschichte der Türkei, Bonn 2005.
Daniele Ganser – Dissertationsarbeit über „NATO-Geheimarmeen“ von 2005.
Christoph Gunn – „The 1960 Coup in Turkey“, Journal of Cold War Sudies Vol. 17, No.2, 2015.
Federation of American Scientists: Quelle: http://fas.org/asmp/profiles/turkey_fmschart.htm.
alternative türkeihilfe, Militärs an der Macht, Herford, August 1983, S. 11.
vgl. Zeitschrift „Zaman“ vom 14. Juni 2006.
Gonul Tol – Turkeys Next Military Coup, Foreign Affairs, May 30, 2016.
Michael Rubin – Could there be a coup in Turkey?, AEIdeas, 21 März 2016.
Yüksel Ugurlu, Cornelia Uebel – Der lange Arm des Imam, WDR Dokumentarfilm, 2013.
Maximilian Popp – „Wer sich mit Gülen anlegt, wird vernichtet“, 3.Teil von Islam: Der Pate, Spiegel, 2012.
Sibel Edmonds – Tukrish PM Erdogan, BFP vom 18. Jan. 2014.
Micheal Rubin – Erdogans Agenda, Natinoal Review Online, 16. März 2013.
Reporters without Borders, 19. Dezember 2012.
Deniz Yücel – Für Erdogan ist der Putsch ein Geschenk Allahs, Die Welt vom 17.07.2016.
Veröffentlich von Josef Muehlbauer, am 17.7.2016.
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