Massen-Medien

020_So_einfach_ist_MedienmanipulationWarum weint ganz Europa bei den „Pariser Anschlägen“, bei denen rund 140 Menschen starben und fühlen nicht mit in Bezug auf den Syrien-Konflikt, bei dem täglich mehr als 140 Menschen sterben bzw. ihr Zuhause verlieren? Was bewegt Menschen so selektiv die Welt und ihre Umgebung wahrzunehmen?

Diese Fragen beantwortet der Psychologie-Professor Rainer Mausfeld, in seinem Vortrag an der Christian-Albrecht Universität, namens „Warum schweigen die Lämmer?“. Moralisch unsichtbar sind Verletzungen moralischer Normen, wenn sie zwar als Fakten sichtbar sind, jedoch in einen Kontext eingebettet sind, der verhindert, dass sie in der Bevölkerung ein moralisches Unbehagen oder Empörung auslösen. Demnach stört uns die neoliberale „strukturelle Gewalt“ nicht: Ein Beispiel sind die sog. gezielten Tötungen („targeted killings“) von Personen, die vom Staat als Sicherheitsrisiko angesehen werden. Derartige Morde stellen einen klaren Bruch des Völkerrechts dar und wären umgekehrter Weise nicht akzeptiert, wären sie von „Gegner-Staaten“ durchgeführt. Also im Klartext: Wenn die USA auf ihrer Phantomjagd Afghanistan, den Irak oder Vietnam bombadiert, hat es immer humanitäre Gründe (dies ist der Kontext), obwohl eigentlich sowohl der Angriffskrieg illegitim, als auch Völkerrechtswidrig ist, war und bleibt (sichtbare und offensichtliche Fakten). Doch keiner fühlt mit – eine totgeschwiegene Empathie?

Wer bestimmt jedoch was im Kontext gebracht wird und was nicht? Ein großartiges Zitat vom französischen Philosophen Voltaire drückte es schon vor mehr als 200 Jahren folgendermaßen aus:

„Töten ist verboten, deshalb werden alle Mörder bestraft. Es sei denn, sie töten in Massen und zum Klang der Trompeten“.

Genau das ist die Macht der Begriffsbestimmung! Wer über den Begriff „Terrorist/ Terrorrismus“ bestimmt, bestimmt auch wer legitim umgebracht werden darf und manipwer nicht. Der französische Philosoph Michel Foucault definiert diese „neue“ Machtstruktur folgendermaßen: Das faszinierende ist, dass die Macht sich nicht versteckt, sondern dass sie sich als voranbringende Tyrannei, selbst als zynisch zeigt und zugleich völlig gerechtfertigt erscheint. (George Orwell hat im Buch „Animal Farm“ diesen Prozess metaphorisch und genial dargestellt). Im Zusammenhang des Wissens stellt Foucault fest, dass sich Macht und Wissen wechselseitig bedingen und steigern; die Machtmechanismen produzieren Wissen, das dann wiederum dazu verwendet wird, die Wirksamkeit der Machtmechanismen zu intensivieren. Daher spricht die Forschung in diesem Zusammenhang auch von einem »Macht-Wissen-Komplex«. (Michel Foucault – Analytik der Macht; u. Jens Knipp – Eine kurze Einfürhung in Michel F. Machtanalytik).

Oder spezifisch auf den Medien-Komplex bezogen: Die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Fakten wird wesentlich durch die Massenmedien vermittelt, die neben den Fakten in der Regel auch den gewünschten Interpretationskontext und damit das ‚politische Weltbild‘ vermitteln – so Prof. Mausfeld.

Begriffe transportieren ideologische Weltbilder, deren totalitären Charakter es aufzudecken und zu benennen gilt. Stillschweigenden Prämissen, Vorurteile und ideologischen Komponenten in der Begrifflichkeit, in der wir über gesellschaftlich-politische Phänomene sprechen, müssen identifiziert und bewusst gemacht werden. Hierbei hilft das Instrument der „Dekonstruktion„.

Werden wir durch die selektive Begriffsbestimmung manipuliert und belogen? Es liegt in diesen Begriffen wie Terrorismus, Rechtsstaat und Präventionsstaat eine in sich grundlegend widersprechende Form: Die Problematik der anti-terroristischen Sicherheitsmaßnahmen, zeigt sich an der These von Erhard Denninger. Die an Freiheit und Autonomie des Einzelnen orientierte Funktionslogik des liberalen Rechtsstaates und die an Sicherheit und Effizienz orientierte Logik des Sicherheits- oder Präventionsstaates, schließen einander tendenzielle aus! (Menschenrechte 2003 – Suhrkamp)

Die Politikwissenschaftlerin und Autorin Karin Leukefeld, studierte u.a. Ethnologie und Islamwissenschaften und arbeitete als freie Korrespondentin im Nahen Osten. Sie analysiert die europäische Medienlandschaft wie folgt: „In Demokratien sollen Medien die Bevölkerung informieren und damit zur öffentlichen Meinungsbildung und politischen Handeln in der Gesellschaft beitragen. Sie sollen Transparenz herstellen, sind ein Korrektiv politischer, wirtschaftlicher und militärischer Macht, nicht deren Erfüllungsgehilfen. Doch internationale Netzwerke aus Politik und Wirtschaft und auch die NATO greifen in die Arbeit der Medien ein, indem sie Journalist*innen mit selektiven Daten und Infos bedienen. Sie laden sie – unter dem Vorbehalt der Verschwiegenheit – zu Reisen, Hintergrundgesprächen, Konferenzen ein. Dies sehen wir deutlich am Beispiel des Irakkrieges von 2003: Als der ehem. britische Premierminister Tony Blair und US-Präsident G.W. Bush 380.000 Soldat*innen den Marschbefehl im Irak erteilten – begleitet von rund 600 eingebetteten Journalist*innen – gaben sie an, die eigene Bevölkerung vor „irakischen Massenvernichtungswaffen“ zu beschützen und den Irakern „Freiheit und Demokratie“ bringen zu wollen. Tatsächlich aber ging es um wie Tony Blair im Briefwechsel zu G.W.Bush ausrichten lies um geostrategische Aspekte: „Jetzt ist der Moment, in dem man die internationalen Prioritäten für die nächsten Generationen bestimmen kann: die wahre Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges. Unsere Ambitionen sind riesig: Eine globale Agenda zu definieren, um die herum wir die Welt vereinen können, damit sie nicht mehr in konkurrierende Machtblöcke zerfällt“ (a.d. Orginal: Huffington Post, 26.3.2003.). Saddams Irak hatte keine Massenvernichtungswaffen und diese NATO-Geschichte entpuppte sich als Lüge und „Verschwörung“ – doch die Medien spielten am brav mit.“ (Vgl. Leukefeld, S-192ff). Der Irakkrieg 2003 basierte auf eine Lüge, wie es eine ZDF-Doku ausführlich dokumentiert. Ein ähnliches Muster sehen wir auch anhand der Brutkastenlüge, welche eine Legitimation des Zweiten Golfkrieges bot. Die geostrategischen Interessen hinter diesen Kriegen kann jede(r) in der ARTE-Doku betrachten.

Mehr Infos über ideologisches Framing, (Deutungs-)Macht der Bilder, Selektive Erinnerung, Gedenkeninszenierungen, Populärkultur, Instrumentalisierung von Katastrophen, Legitimierung vom Ausnahmezustand und der damit einhergehenden Untergrabung demokratischer Mechanismen. Weitere Themen werden kurz erwähnt: Brutkastenlüge, Golf von Tonkin, Terrorinszenierung, Angst, Macht- und Herrschaftsverhältnisse, Rassismus, Sexismus, Klassizismus, 9/11, König der Löwen, Black Panther, Hierarchien, Je Suis Parisien finden Sie hier:

 

 

Litaratur:

Michel Foucault – Analytik der Macht, Suhrkamp, 2005.
Eberhard Denninger – Menschenrechte 2003, Suhrkamp, 2002.
Jens Knipp – Eine kurze Einfürhung in Michel F. Machtanalytik.
Prof. Rainer Mausfeld – Das Schweigen der Lämmer, Christian Albrecht Uni.

Karin Leukefeld – Verlust der Glaubwürdigkeit – Deutsche Medien zum Konflikt in Syrien, in: Fritz Edlinger (Hg.), Der Nahe Osten brennt, ProMedia Verlag, Wien, 2016.

 

Veröffentlicht von Josef Muehlbauer, 16. Nov. 2015, aktualisiert am 10.1.2017.

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