Medienanalyse: Giftgas, Terror, Regime Change

Dieser Beitrag stellt eine sozialpsychologische und kommunikationswissenschaftliche Reflexion dar. Ich versuche dabei sowohl die Form der medialen Darstellung (Visualisierung, Kontextualisierung, Framing), als auch die emotionspsychologischen Auswirkungen zu analysieren bezüglich der aktuellen Giftgasangriffe in Syrien. Ich konzentriere mich speziell auf den Tag des Anschlages (4.4.2017) und die Beiträge die am nächsten Tag verbreitet wurden.

Unter der Form der medialen Darstellung unterscheide ich folgende Aspekte: Redaktionelle Techniken (Selektive Auswahl, Gewichtung und Platzierung von Themen, Schlagzeilen, Konfliktparteien, Quellen, Interview/ Gäste und Kontext). Sprachliche und audiovisuelle Techniken wie z.B.: Unterstellungen, unbelegte Behauptungen, suggestive Wortwahl, Insinuationen und u.a. Assoziationen.

Quelle: Tagesschau am 04. April 2017

Folgende Fragen sind dabei zentral: a) Wer steckt hinter den Giftgas-Anschlägen im Nordwesten Syriens, in der Stadt Chan Scheichun (Provinz Idlib)?

b) Wie stellen die populären Massenmedien diesen Angriff dar?

c) Welche emotionspsychologische Auswirkungen haben diese Darstellungen?

d) Welche Botschaften und Appelle suggerieren die Beiträge?

Fakten zum Giftgasangriff und die mediale Darstellung:

Eine Bestätigung des Vorfalls von anderer Seite liegt bislang nicht vor. Die Beobachtungsstelle, die den bewaffneten Rebellen nahesteht, stützt sich auf ein dichtes Netzwerk von Informanten in Syrien. Von unabhängiger Seite sind ihre Angaben nur schwer zu überprüfen.“ – so die Tagesschau am 4.4.2017. Diesen Beitrag halte ich für „objektiver“ als die nachfolgenden und reflektierend, da er sich selbst von den genannten Quellen distanziert und dem Bericht der U.N. am nächsten erscheint (U.N. 7915th Meeting, 5.4.2017). Von diesem Wissensstand, denn ich als „objektiv“ darstelle, gehe ich in meine Medienanalyse ein. Nun beobachte ich die abweichende Meinungen und Darstellungen der Medien:

„Vermutlich“: Vermutlich verantwortlich für den Angriff: der syrische Diktator Bashar al-Assad.“ – so die Huffington Post vom 4.4.2017. Die einzige Quelle die im gesamten Artikel erwähnt wird, ist die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ – was im Grunde suggeriert, dass es sich um eine unabhängige Institution handelt. Diese Quelle steht jedoch eindeutig den Rebellen nahe, also den Gegnern des Assad-Regimes und bekommt von „unbekannten Aktivisten“ die Infos. Der Sitz dieser „Ein-Mann-Organisation“ ist in London, also sehr weit weg von Syrien.  Unreflektiert hat die Huffington die „Zeugenaussagen“ und „Vermutungen“ dieser Quelle als gegeben angenommen.

„Almost certainly“:A U.S. government source said Washington believed the chemical agent sarin was used in the attack and that it was „almost certainly“ carried out by forces loyal to Assad“ – so die vielleicht größte und wichtigste Nachrichtenagentur der Welt Reuters. Diese hier zitierte „U.S. Regierungsquelle“ suggeriert, dass die US-Regierung selbst den Vorfall untersucht hat und darüber hinaus suggeriert diese Aussage, dass es sich um empirisch bewiesene Untersuchungen handelt. Dabei wurde diese „Quelle“ vom renommierten MIT Professor Theodore A. Postol als unwissenschaftlich kritisiert. Laut Postol liegen keine empirische Beweise dem Bericht zugrunde (Download/  Zum Video).

Solche unwissenschaftlichen Begriffe wie „wir glauben“, „man geht davon aus“, „die Indizien sprechen dafür“, „laut Augenzeugen“ usw. sind meist der einzige „Beweis“ auf den sich die medialen Berichte stützen. In welchen Kontext genau der Angriff dargestellt wird, lässt sich deutlich beobachten:

Emotionspsychologische Auswirkungen: Hier in diesem Abschnitt analysiere ich die suggerierten Botschaften, das Framing und die damit verbundenen Emotionen die durch diese Beiträge erzeugt werden:

Schuld und Feindbildkonstruktion: Folgende Beiträge werfen Assad die Schuld indirekt und suggestiv zu, indem sie die Anschuldigungen unreflektiert stehen lassen, obwohl bekanntlich (U.N. 7915th Meeting, 5.4.2017) die Informationsquellen umstritten und nicht unabhängig sind und zumal keine unabhängige Untersuchungskommission den Vorfall empirisch untersucht hat: 1 (Huffington); 2 (Presse); 3 (Zeit); 4 (Bild); 5 (Reuters); 6 CNN (CNN 7.4), 7 NBC (NBC 7.4); 8 Independent (und 7.4). Der Name Assad steht im Zusammenhang mit den Giftgasanschlägen, obwohl keine empirischen Beweise für dessen Schuld existieren!

Info-Selektion: Der folgende Beitrag von der Presse suggeriert „Objektivität“ indem er die sich widersprechenden Aussagen und Positionen darstellt. Doch mit der einfachen Gegenüberstellung von Aussagen ist das Spiel mit der Pluralität nicht gegessen. Denn: Es wurden dubiose Quellen unreflektiert als gegeben weitergegeben und es kommen öfter Anschuldigungen und „Meinungen“ als Fakten und Hintergrundinformationen vor. Ein ähnliches Resümee kann über den Bericht der Süddeutschen Zeitung abgegeben werden. Die Zeit zitiert eine „imperialistische“ Meinung von einem scheinbaren Holocaust-Relativierer, nämlich Sean Spicer (US-Regierungssprecher), erwähnt die Vorurteile und Anschuldigungen von Rex Tillerson, Federica Mogherini (EU-Beauftragte) und Nikki Haley (US-Botschafterin) aber relativiert nicht deren Quellen. Ein weiterer Bericht (im Grunde ein Interview) der Zeit stellt die subjektive Meinung einer Nahostexpertin (Kristin Helberg) dar, als „Aufklärung der Giftgasangriffe“. So ein ähnliches Muster durchzieht die gesamte Medienlandschaft bis auf wenige Ausnahmen (TAZ, Epoche-Times…).

This photo provided by the Syrian anti-government activist group Edlib Media Center, (Edlib Media Center, via AP)

Emotionale Visualisierung: 1 (Huffington); 2 (Die Presse); 3 (Zeit); 4 (Bild). Bei der Berichterstattung dieses Giftgasangriffes wurden überwiegend Kinder, Frauen und unschuldige Opfer bildlich und mittels Videos gezeigt, anstatt auf die Hintergrundanalysen einzugehen. Emotionale Berichte wie die von Nikki Haley, dienten in der Geschichte oftmals als Kriegspropaganda und als Legitimationsversuch eines Angriffskrieges (siehe Brutkastenlüge; Collin Powell und Saddams Massenvernichtungswaffen usw.).

Hintergrundanalysen: Epoche-Times hat die Quelle „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ und deren Objektivität relativiert und in einem Kontext gesetzt, was viele andere Zeitungen und Medien nicht taten. Die TAZ hat über die Chemiewaffenkonventionen, als auch über die Fakten-Lage recherchiert, ohne dabei einen Schuldigen klar fest zu machen.

Vergeltungs- bzw. Präventionsmaßnahmen: Hier beobachte ich Beiträge die direkte oder indirekt (u.a. durch Zitate) einen Wunsch zur Gegenmaßnahme äußern bzw. suggerieren. Unter Gegenmaßnahmen können suggestiv wirkende Aussagen, Zitate oder direkte Aufforderungen in den Bereichen wie Vergeltung, Rache, Prävention, Bestrafung und „Verteidigungsangriff“ angesehen werden: 1 (Huffington); 2 (Reuters); 3 (Süddeutsche)

Folgendes Resümee lässt sich festhalten: 

In den westlichen Medien N-tv, Zeit, Bild, Huffington Post, Reuters, Die Presse, CNN (CNN 7.4), NBC (NBC 7.4); Independent (und 7.4) lässt sich eine Art Framing erkennen:

a) Dubiose und nicht unabhängige Quellen werden zitiert, um deren Anschuldigungen und Vorurteile zu demonstrieren gegenüber Assad und Russland. Dabei suggerieren die Beiträge einerseits „Objektivität“ und andererseits einen schuldigen Verbrecher, weil ohne Hintergrundanalysen der Kontext: „Giftgasanschlag“-„Schuld“-„Assad“ im Raum stehen gelassen wurde (Framing 1: Feinbildkonstruktion).

b) Die meisten Beiträge enthalten Bilder und einige sogar Videoaufnahmen die dramatisierend und emotionalisierend wirken. Dies erzeugt Angst, Spannung, Ohnmachtsgefühle, appelliert an die Empathie und den Gerechtigkeitssinn der LeserInnen bzw. ZuseherInnen etwas dagegen zu unternehmen.

c) Selektive Quellen, Meinungen und Zitate: Die meisten Beiträge selektieren die präsentierte Info, in dem sie eher Assad-kritische Quellen zitieren und das über einen Zeitraum vom Tag des Anschlags (4.4.2017) bis zum 15.4.2017. Beispiel 1 – U.N Sicherheitskonferenz: Nikki Haley wurde öfter als der bolivianische Botschafter Sacha Sergio Llorenti Soliz zitiert. Beispiel Quellen: Die Stellungnahme der U.N wurde weniger oft zitiert, als die dubiose Quelle namens „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“. Beispiel 2 – Zitate: Trump, Rex Tillerson und Sean Spicer wurden öfter zitiert als der mehrmalige Präsidentschaftskandidat Ron Paul, die Kongressabgeordnete Tulsi Gabbard oder der US-Politiker Thomas Massie. Die letztgenannten zweifeln an der so oft zitierten „US-Version der Geschehnisse“ und sind einstimmig gegen einen US-Krieg in Syrien. Beispiel 3 – Kontext: Die moralische Verteidigung Russlands wurde öfter erwähnt, als der US-verfassungswidrige (ohne Zustimmung des Kongresses) und völkerrechtswidrige Angriff (ohne U.N. Mandat) der USA. Diese unilaterale Handlung wird sogar noch von Angela Merkel, Theresa May und einigen anderen europäischen Spitzenpolitiker unterstützt und von den Medien weitergegeben. Hierbei geht es nicht um eine selektive Wahrnehmung, oder um eine Banalität, sondern der Verdacht der Kriegspropaganda kommt auf. Lernen wir nicht von den unzähligen Kriegen?

Mein Appell: ForscherInnen sollten diese beschriebenen Konstrukte wie Visualisierung – Framing – Emotionalisierung theoretisch verbinden, beschreiben und der breiten Öffentlichkeit präsentieren!

MedienkonsumentInnen sollten nicht müde, unreflektiert und unkritisch Massenmedien konsumieren. Ähnlich wie bei der gesunden Ernährung, sollten die LeserInnen darauf achten was genau sie konsumieren und in sich aufnehmen!

Weitere Infos finden Sie HIER.

Verfasst von Josef Muehlbauer am 16.4.2017, mit der konstruktiven Hilfe einigen MitarbeiterInnen des Varna Friedensforschungsinstitut (VIPR).

 

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